Mit Strategie arbeiten und führen: Für Unternehmen bedeutet das vor allem, auf der Basis von Fakten passende Leitplanken festzulegen und innerhalb dieser zierorientiert zu agieren. Wie Sie die Leitplanken für Ihre Organisation bestimmen und nutzen – und welche Fallstricke wir in der Praxis beobachten, erfahren Sie in diesem Beitrag. Ein Gespräch mit Dr. Constantin Bukó, Geschäftsführer der conPrimo Strategieberatung.
Herr Bukó, „Strategie“ erscheint heute manchmal als Buzzword, selbst im privaten Bereich. Was verstehen Sie im Kontext der Strategieberatung darunter?
In unserer Arbeit geht es um die Unternehmensstrategie, die Geschäftsbereichsstrategie(n) oder funktionale Strategien wie eine Personalstrategie oder Digitalisierungsstrategie, also in der Regel um Themen, die das gesamte Unternehmen betreffen. Im Kern zielt die Strategie darauf ab, sich gut auf die zukünftigen Herausforderungen vorzubereiten. Insbesondere in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft gibt es nicht immer die Möglichkeit, sich kurzfristig und agil an neue Entwicklungen anzupassen. Es dauert beispielsweise schon seine Zeit, eine Einrichtung aufzubauen – oder aber einen Geschäftsbereich abzubauen bzw. Leistungen zurückzufahren. Deshalb braucht man eine mittelfristige Aufstellung und eine strategische Ausrichtung.
Inwieweit sind Organisationen der Gesundheits- und Sozialbranche nach Ihrer Erfahrung bereits strategisch aufgestellt?
Die meisten Organisationen, auch in der Sozialwirtschaft, haben eine irgendwie geartete Strategie – jedoch nicht unbedingt in einer Form, die auch strategisches oder zielgerichtetes Arbeiten in der Organisation ermöglicht. Was wir in der Praxis unter dem Etikett einer Strategie antreffen, ist vielfältig. Auf der einen Seite wird als Strategie oft die übergeordnete Vision des Unternehmens wahrgenommen oder es sind allgemeine Formulierungen festgehalten, die jedoch für diverse andere Unternehmen gleichermaßen gelten könnten.
Auf der anderen Seite begegnen uns, als Strategie verpackt, detaillierte Maßnahmenpläne, in denen z. B. steht, dass neue Räume gemietet oder ein neuer Fernseher angeschafft werden sollen. Was Strategie eigentlich sein sollte, liegt zwischen diesen Polen: In unserem Verständnis bietet sie Leitplanken, gibt die Stoßrichtung für verschiedene Ebenen der Organisation vor. Sie ist dabei individuell ausgerichtet und für Mitarbeitende nachvollziehbar, nicht abstrakt.
Welche Besonderheiten gibt es, wenn man in der Sozialwirtschaft eine Strategie aufstellen will?
Besonders wichtig ist natürlich, dass wir hier in einer persönlichen Dienstleistung unterwegs sind, die sich immer um Menschen dreht. Die Leistungen werden für Menschen und von Menschen erbracht. Deshalb soll der Strategieprozess auch Menschen zusammenbringen. In diesem Umfeld kommt es ganz besonders auf die Menschen an, die etwas bewegen wollen, die engagiert sind. Die Wertschätzung für die Klient*innen wie auch für die Mitarbeitenden muss Teil der Strategie selbst sein.
Wir empfehlen daher in der Regel, eine breite Partizipation im Strategieprozess zu ermöglichen. Beteiligung kann z. B. durch Workshops oder Umfragen, passend zur Kultur des Unternehmens, stattfinden. Nur so durchdringt man im Prozess die gesamte Organisation. Wir erleben auch oft, dass die besten Ideen und Impulse aus unerwarteten Ecken kommen, weil Menschen dort z. B. anders auf eine Situation blicken. Hier liegt eine weitere Besonderheit der Sozialwirtschaft: Die Führungskräfte sind zumeist sehr offen für vielfältige Perspektiven.
Wie sieht ein gelungener Strategieprozess aus?
Eine Grundvoraussetzung ist, dass sich die Beteiligten auf den Prozess einlassen und diesen nicht „vom Ende her denken“, damit tatsächlich etwas Neues entstehen kann. Für den Prozess selbst ist es, neben der erwähnten Partizipation, entscheidend, dass dieser faktenbasiert ist und nicht auf hergebrachten Glaubenssätzen aufbaut, die gegebenenfalls nur in der Vergangenheit gültig waren. „Wir haben das schonmal versucht und es hat nicht geklappt“ ist beispielsweise keine gute Grundlage, um bestimmte Optionen auszuschließen, solange nicht klar ist, warum es nicht geklappt hat. Für gute, tragfähige Ergebnisse empfiehlt sich die Arbeit mit einem ganzheitlichen Strategieansatz.
Wir arbeiten in der Sozialwirtschaft mit einem ganz eigenen Ansatz, dessen Philosophie sich in der Industrie schon vielfach bewährt hat, da sie verschiedene klassische Strategieansätze verknüpft: „Where to play, how to win“ – auf Deutsch: „Wo engagieren wir uns, wie setzen wir uns durch“. Diesen passen wir entsprechend der besonderen Anforderungen der Branche an. Der Prozess ist in der Ausgestaltung auch für jede Organisation, für jede Region anders. Er ist keine Schablone – eben eher eine Philosophie, um stringent zu einer guten Strategie zu kommen.
Wodurch unterscheidet sich der genannte Ansatz genau – was macht er anders?
Auf der einen Seite reicht es nicht, nur nach draußen, auf die Entwicklungen im Umfeld und den Markt, zu schauen („Outside-In“). Dann entsteht möglicherweise eine Wunschstrategie, die nicht umsetzbar ist. Schaut man andererseits nur auf sich selbst („Inside-out“) und richtet sich basierend auf aktuellen Kernkompetenzen der Organisation aus, ohne neue Chancen auch nur in Betracht zu ziehen, bleibt man in den eigenen Bahnen gefangen. Wir gucken daher sowohl auf äußere Bedingungen als auch von außen nach innen auf die eigenen Kernkompetenzen, um zu sehen, was wirklich umsetzbar ist.
Die Perspektiven gilt es zu verknüpfen und sich bei jedem neuen Schritt die Leitfrage „Wie mache ich das genau?“ zu stellen. So gelangt man in einem verketteten Prozess von der „Vision/Mission“ über das „Wo engagieren wir uns“ und das „Wie setzen wir das durch“ bis zur Strategie mit hinterlegten Maßnahmen und deren Monitoring – und hinterlässt keine Lücken. Es gehört auch dazu, sich in den Schritten rückzuversichern und bei Bedarf wieder eine Stufe zurückzugehen.
- Mehr zum Strategieansatz „Where to play, how to win“ in der Sozialwirtschaft erfahren Sie schon in Kürze in einem vertieften Beitrag bei uns. Sie haben schon jetzt Fragen? Sprechen Sie uns einfach an.
Wenn man eine Strategie erarbeitet hat, wer arbeitet dann praktisch damit? Und wie?
Bei den großen Organisationen, Verbänden und Trägern, mit denen wir arbeiten, braucht es eine Strategie für das Gesamtunternehmen, und dann Teilstrategien für einzelne Geschäfts- und Fachbereiche, Hilfefelder und Regionen. Wichtig ist, dass die Ebenen miteinander verzahnt werden. In der praktischen Umsetzung gilt es, Maßnahmen zu ergreifen, die in der Summe, wenn sie richtig geplant sind, die Strategie ermöglichen (Ursache-Wirkungs-Prinzip).
Ein Beispiel: Wenn Sie 30 neue Plätze in einer Einrichtung anbieten wollen, müssen Sie natürlich intern und extern etwas dafür tun, z. B. Kund*innen und Mitarbeitende finden. Für den Erfolg einer Strategie ist es letztendlich aber auch entscheidend, dass jemand nach der Umsetzung der definierten Maßnahmen schaut. Im Monitoring fragen Sie deshalb: Wo habe ich Fortschritte gemacht? Und wo hat es nicht geklappt? Und wenn etwas nicht geklappt hat, schauen Sie näher hin. Dann müssen entsprechende Konsequenzen folgen. Natürlich können auch Anpassungen aufgrund größerer Änderungen der äußeren oder inneren Bedingungen notwendig sein. Der Ukraine-Krieg und die Corona-Krise zeigen das deutlich. Hier kann man die Strategie nicht einfach weiterlaufen lassen. Man stellt sie aber in der Regel auch nicht gleich neu auf, sondern nimmt eine Veränderungsplanung vor.
Welche Rolle spielt die Strategie für die einzelnen Mitarbeitenden in der täglichen Arbeit?
In der Begleitung eines internationalen Industrieunternehmens habe ich einmal erlebt, dass dort die Strategie streng geheim war – mit der Begründung, dass der Wettbewerb sie ja schließlich nicht kennen darf. Aber wie können die eigenen Mitarbeitenden dann wissen, was sie tun sollen – und vor allem warum? Strategie ermöglicht es, sich auf das Richtige zu konzentrieren. Wenn man aber nicht weiß, was das ist, wird das natürlich schwierig.
Das heißt nicht, dass Mitarbeitende sich mit der Strategie vollumfänglich und bis ins kleinste Detail beschäftigen müssen. Man kann sie für Interessierte offenlegen, pragmatisch ist es aber so, dass man im Tagesgeschäft ja über konkrete Maßnahmen redet. Warum eine Maßnahme sinnvoll ist, leitet sich dann aus der Strategie ab. Diese Maßnahmen kann man in Team- oder individuellen Zielen verabreden. So arbeiten Mitarbeitende dann konkret an der Umsetzung der Strategie mit. Und letztlich ist es das tägliche Tun der einzelnen Mitarbeitenden, das ein Unternehmen in eine bestimmte Richtung schwingen lässt.
Welche Rolle kommt der Führung zu? Was bedeutet strategisches Management bzw. strategische Führung?
Wir erleben manchmal, dass Führungskräfte den Eindruck haben, sie würden gerade ein nettes Papier mit Berater*innen zusammen aufzusetzen, was sie jedoch vom Erledigen ihres eigentlichen Jobs nur abhält. Tatsächlich IST diese strategische Arbeit der Führungsjob: Strategie ohne strategisches Management funktioniert nicht. Natürlich kann ich ein Unternehmen auch operativ, mit Einzelmaßnahmen oder über Finanzkennzahlen, führen. Ist das aber so gewünscht, brauche ich keine Strategie.
Will man wirklich strategisch arbeiten, gehört es dazu, über strategische Ziele zu führen. Dabei gestalten die Mitarbeitenden das „Wie“ im Rahmen der gegebenen Leitplanken selbst aus. Wenn Organisationen eine Strategie aufstellen, Führungskräfte dann aber immer wieder operativ eingreifen, reinsteuern und Prioritäten verändern – oder aber erst gar nicht nach der Strategie-Umsetzung schauen, kann das nicht funktionieren. Dann schwindet das gesamte Vertrauen in die Strategie.
Wie geht man damit um, wenn die Führung (noch) nicht für die strategische Arbeit aufgestellt ist?
Es ist wichtig, zu schauen, ob die notwendigen Führungs- und Steuerungsinstrumente im Unternehmen vorhanden sind – und diese bei Bedarf aus- bzw. aufzubauen. Man kann strategisches Denken und Führen auch lernen. Hier gilt es also, zu schulen und die strategische Führung über Prozesse auch einzufordern. In der Regel ist da niemand perfekt und Führungskräfte müssen sich selbst und ihre Führung deshalb auch regelmäßig kritisch hinterfragen. Man kann sogar so weit gehen, sich mit einem 360-Grad-Blick durch Mitarbeitende, Vorgesetze und Kolleg*innen evaluieren zu lassen. Mitunter können aber auch Veränderungen innerhalb der Führungsebenen selbst notwendig werden. Wenn es darum geht, im Zuge der strategischen Aufstellung passende neue Führungskräfte zu gewinnen, bietet die erarbeitete Strategie wiederum die Leitplanken für den Auswahl- und Besetzungsprozess. Das heißt, ich schaue, welche Kompetenzen ich brauche, um meine Strategie erfolgreich umsetzen zu können.
Sie haben schon einige Fallstricke bei der strategischen Aufstellung benannt, gibt es weitere?
Manchmal hakt es mit Blick auf die langfristige Perspektive. Es dauert, mit entsprechender Erfahrung oder Begleitung, etwa drei bis sechs Monate, eine Strategie auszuarbeiten. Diese umzusetzen, dauert dann mehrere Jahre. In der Regel sind Strategien für die Branche auf fünf bis sieben Jahre ausgerichtet. Dann gilt es, entlang der Strategie zu führen und diese nachzuhalten, sonst hilft die beste Strategie nichts.
Uns ist außerdem bewusst, dass der detaillierte Prozess, wie wir ihn empfehlen, mit einiger Arbeit verbunden ist. Er setzt oft voraus, sich auf eine neue Sichtweise einzulassen. Unternehmen in der Industrie, im Bereich Konsumgüter usw., haben riesige Datenpools, die sie auswerten, um strategische Entscheidungen zu treffen. Das ist in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft selten in dem Maße der Fall. Daher sind die Orientierung am Markt, am Wettbewerb, aber auch der kritische Blick nach innen, das Sammeln von Daten und Fakten, anfänglich eine Herausforderung.
Worauf legen Sie bei Ihrer Arbeit besonderen Wert?
Die Kenntnis der Branche und einzelnen Hilfefelder sowie das Bewusstsein für ihre Besonderheiten ist natürlich auch für uns in der Begleitung von Strategieprozessen wichtig. Wir können und wollen den Organisationen, mit denen wir arbeiten, keine vorgefertigten Muster überstülpen. Wir gehen gemeinsam mit Führungskräften und Mitarbeitenden in einen Prozess der Vergegenwärtigung und Entscheidungsfindung, der tragfähig ist und von allen verstanden wird.
Wir sichern dabei auch die faktenbasierte Entscheidungsfindung. Manchmal wollen Kund*innen schon bestehende ältere Ideen in einen Strategieprozess hineinzwängen, z. B. die Idee, eine bestimmte Einrichtung irgendwo aufzumachen, was aber im Rahmen der definierten Leitplanken gar nicht stimmig ist. Wir helfen den Organisationen dann dabei, sich immer zu vergegenwärtigen, warum und wie sie etwas tun – und dabei ehrlich zu bleiben, sich Offenheit zu gönnen, Lücken zu erkennen und zu benennen, um sie aktiv schließen zu können.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bukó!